Hansaviertel, Schillerstraße 48a, der Aufsteller verkündet für den 9. April ein Stück von Theo van Gogh: „Das Interview“.
Über den Hinterhof ist ein Transparent gespannt: Kammertheater. Der kleine Bühnenboden. Ein mit gewelltem Polyacryl und Friedenstaube verkleidetes Rolltor öffnet einen Spalt zum Foyer. Konrad Haller, 1970 in Innsbruck geboren, prüft Nachweise von 13 ZuschauerInnen und macht den Einlass. Kurz darauf steht er im Scheinwerferlicht des Bühnensaals, der vor Corona 50 Plätze bot, derzeit 33.
Zum dritten Mal gibt Haller den Kriegsberichterstatter Pierre. Der ist verdonnert, den TV-Star Katja (Maria Goldmann, geb. Thalassinou) zu interviewen, während die niederländische Regierung wegen Srebrenica zurücktritt. Die gerissene Schöne fordert den Hard-News-Freak heraus, gibt Antwort nur gegen Antwort. Pierre zeigt ihr eine Narbe und erzählt, wie es im Bosnienkrieg dazu kam. Das überzeugt Katja. Auch das Publikum nimmt Haller den kaltschnäuzigen Reporter ab, trotz des warmen Funkelns seiner braunen Augen. Wie stellt er sich diese Figur vor?
Haller: „Im Sommer 1991 war ich noch frisch am Burgtheater. Da war die Gertraud Jesserer. Ihr Sohn, Nikolas Vogel, war Kriegsberichterstatter, einer vom abenteuerlustigen Typ. Das war einer der ersten, die im Jugoslawienkrieg am Flughafen Ljubljana durch Beschuss starben. Man denkt, die haben groß PRESS drauf stehen, sind neutral und kommen durch. Aber dieser Mythos der Unverletzlichkeit war nie in meinem Kopf, sondern die Präsenz: das kann mir das Leben kosten.“
Im Stück tobt die Redeschlacht. Per Handy dreht Katja den Interview-Spieß um. Beim ersten Video-Take klappt es. Hallers Gesicht wird vom Handy digital auf die Bühnenwand projiziert. Beim zweiten Take versagt die Technik. Das Bühnenbild bleibt schwarz, Schock! Jetzt greift Hallers Können. In sich ruhend zieht er die Szene mit Maria Goldmann durch, das Glotzen auf die Bildwand ist verzichtbar. Man sieht direkt in beide Gesichter – Theater auf Augenhöhe. Das ist das Konzept von Co-Intendant Toto Hölters und Konrad Haller: „Hier hören die Menschen den Schauspieler atmen, du bist nah dran. Die Unmittelbarkeit ist ganz anders gegeben als in Städtischen Bühnen, wo man am Rang oben sitzt und unten ein paar Manderl herumgehen.“
Haller weiß wovon er spricht. Vor seiner zehnjährigen Arbeit am Wolfgang Borchert Theater in Münster hatte er sie alle: die Landes-, Staats- und Stadttheater. Warum er den Kleinen Bühnenboden nach dem Tod der Gründerin Marianna Thalassinou 2007 mit null Bedenkzeit übernommen habe? Natürlich wegen des Traumes, frei entscheiden zu können.
Konrad Haller will nicht mehr in diesen vollkommen hierarchischen Strukturen arbeiten: „Ich fand es immer eigenartig, erst am Schwarzen Brett zu erfahren, was meine nächste schauspielerische Aufgabe ist. Und ich finde es zum Kotzen, wenn da ein vollkommen cholerischer Regisseur vorne sitzt, der ein Stück über Menschlichkeit macht und glaubt, sich menschenverachtende Provokationen erlauben zu können, um das Letzte aus dir rauszuholen. Klar gibt es auch bei uns immer jemanden, der final entscheidet. Aber die Haltung, wie man gemeinsam zum Ziel kommt, ist entscheidend. So will ich arbeiten, so will ich Kunst machen, so will ich ein Haus leiten.“